Okavango – die wahren Gefahren im Delta

Ich erinnere mich an eine Zeit in Botswana, Afrika. Nach Wochen in Südafrika hatte es uns nach Botswana verschlagen, auf dem Weg von Südafrika nach Kenia lag dieses seltsam unbekannte Land auf dem Weg. Botswana tauchte eigentlich so gut wie nie in den Medien auf. Keine Naturkatastrophen, keine Kriege, keine Gewalt.

Nichts von Interesse für die Welt

Oberflächlich betrachtet, aber bei genauerem Hinsehen war Botswana so ein tolles Land, eines mit den wohl ausgeglichensten Menschen Afrikas, mit einer Vielfalt und Naturschönheit, die es kaum vergleichbar gab. Es war vor allem das Okavangodelta, das Touristen hierher lockte, eine unberührte, unbedrohte Wildnis, die in diesem riesigen Gebiet alles bot, was üppige Reiseprospekte mit Kusshand druckten: kitschige Sonnenuntergänge in hunderten von Rottönen, Löwen, Krokodile und Flusspferde und Schlangen.

Botzillo lehrt uns das Leben im Einklang mit der Natur. Foto: Mario Vedder

Ich fuhr einst auf einer Tour im Delta mit Botzillo, unserem Ranger im Einbaum, wir glitten durch das Wasser und jeder, wirklich jeder hatte uns vor den Flusspferden gewarnt. Die gefährlichsten Tiere Afrikas, daran sterben mehr Menschen als an Malaria, die springen aus dem Wasser bis zu zwei Meter hoch, aggressiv, Wow. Ich hatte mächtigen Respekt vor diesen Tieren, die man doch oft nur als Hippo „so süß“ fand.

Respekt vor Tieren

Unser schmaler Einbaum, ein aus einem einzigen ausgehöhltem Baumstamm gefertigtes Boot, machte nicht gerade den sichersten Eindruck, es waren gerade einmal ein, zwei Zentimeter bis zur Wasserkante. Was dann aber das ganze fast zum Kentern brachte, war kein süßes Hippo, nein, es war eine Schlange, vielleicht knapp zwei Meter lang, die sich von rechts schnurstracks dem Boot näherte. Mein Kumpel, der hinter mir saß, lachte noch und sagte „Oh, guck mal, eine Wasserschlange“, und in dem Moment war sie auch schon da, an der Bootskante. Wie in Trance streckte ich die Beine durch und machte sie zu einer Linie mit der Bootskante, mein Kumpel verhielt sich scheinbar ebenso und Botzillo, der arme Kerl, hatte mit seinem Steuerast mächtig zu kämpfen, gegen das Kentern und gegen die Panikattacken seiner zwei bleichgesichtigen Gäste. Die Schlange huschte über meine Beine, sie wollte einfach nur ihren Weg gehen, oder schlängeln, und verschwand im Schilf. Mit ging die Pumpe, Botzillo lachte befreiend und zeigte auf Flußpferde, die am Ufer mit ihren riesigen Mäulern Schilf vernichteten. Die Eintrittskarte ins Okavangodelta war gelöst und ich sollte es nicht eine Sekunde bereuen, die ich hier verbrachte. Das war Wildnis pur, Natur von ihrer echten, rauen Seite.

Es gab viele Möglichkeiten, das Delta zu erkunden, für jedes Budget, für jeden Geschmack. Von der Luxus Lodge mit eigenem Landeplatz, mit eigenem Koch und bewaffneten Rangern bis hin zur totalen Low Budget-Variante mit Hereinwandern und letzten Etappen im Holzboot. Wir hatten uns für eine andere Variante entschieden. Mit einem Buschflieger ging es tief hinein ins Delta und irgendwo am Ende einer Piste, die bis kurz vor dem gefühlten Absturz nicht als solche zu erkennen war, trafen wir auf Botzillo. Botzillo war ein Geschenk des Himmels. Er sollte für die nächsten paar Tage unser Guide sein, unser Ranger, Koch, Navigator, Tierfinder, Beschützer. Das besondere an ihm war, das er hier her kam, hier aufgewachsen war, im Delta, in der Wildnis. Und er hatte eine dunkle Vergangenheit, er war Wilderer gewesen, lebte von der Jagd, seinem traditionellem Einkommen. Aber all dem hatte er inzwischen abgesagt, hatte quasi die Seiten gewechselt und arbeitete nun für den Tourismus, zeigte uns seine Heimat, seine Geschichte, seine Liebe. Und wie er es liebte, hier zu sein. Er brachte uns zunächst zu unserem Basiscamp, es waren 15 vielleicht 20 Minuten Fußweg durch den Busch. Wir folgten ihm schweigend. Im Camp angekommen, zeigte uns einen kleinen Platz zum Aufschlagen unseres Zeltes. Ob wir noch fragen hätten? Wenn nicht, würde er morgen am 6 Uhr wiederkommen, und dann ginge es los, mit dem Einbaum.

Bis morgen Botzillo

Wir bauten das Zelt auf und erkundeten das Camp. Das war schnell gemacht, es standen noch genau zwei weitere Zelte hier, es gab einen Verschlag für die Duschen und einen für die Toiletten, alles sehr einfach, aber sehr sauber. Und es gab eine Art Bar, mit zentraler Theke, einem Kühlschrank und einer zentralen Feuerstelle. Hier wachte Corey über sein Reich. Corey war ein schmächtigen Mann mit dünnen Beinchen, die in khakifarbenen kurzen Hosen steckten, darüber schlabberte ein Hemd mit Schulterklappen und einem Wildlife-Abzeichen. Die Füße steckten in hohen Schuhen, mit Strümpfen bis zum Knie. Es war eigentlich alles ganz ordentlich an ihm, aber es wirkte alles viel zu groß und lang und schlamberig. Corey war der Chef im Camp, quasi unser Hoteldirektor heute Abend. Und er war Koch, Gastgeber und Märchenonkel zugleich. Außerdem war er Brite, was sich nicht nur in ausgesprochener Höflichkeit, sondern auch in feinstem britischem Humor äußerste.

Mit Botzillo hätten wir den besten aller besten Ranger für dieses Gebiet hier, nur er selber sei noch besser, aber er könne ja nicht mehr so wie er wolle, sein Knie sei steif und die großen Tiere seien ja eh nicht sein Fachgebiet. Coreys Fachgebiet waren Insekten und je mehr sich die Nacht ins Camp schlich und je mehr Insekten, Fliegen, Gottesanbeter, Moskitos und Wanzen sich ihre Flügel an den heißen Gaslampen verbrannten, je abscheulicher wurden Coreys Geschichten. Wir mussten Bier mit ihm trinken und Gin und als wir dann irgendwann viel zu spät gegen Mitternacht ins Zelt taumelten, hatten wir keine Angst mehr vor Löwen, Hyänen und Hippos. Jetzt waren Insekten unsere größte Sorge. Und mit jedem Surren hatten wir plötzlich Todesangst. „Schüttelt eure Schuhe und Schlafsäcke aus, bevor ihr sie nutzt. Immer dran denken, allright, good Night.“ Angst vor Insekten, wer hätte das gedacht, aber dank Corey wußten wir jetzt auch, was gegen welche Stiche half, was nicht, und wo man eh schon verloren hatte. Zumindest Malaria konnte uns bei der Menge Gin mit entsprechendem Tonicwater nicht viel anhaben. Die Nacht war viel zu kurz und die Angst war sehr schnell wieder da.

Mit einem kurzem Frühstück und schnellem Buschkaffee hatte der Morgen begonnen, Botzillo war pünktlich da und schipperte uns mit seinem Einboot tiefer und tiefer hinein in das Delta des Okavangoflusses, der weit entfernt im Westen in Angola entsprang und sich in seinem jugendlichen Leichtsinn entschied, nicht zum Ozean, sondern ins Landesinnere zu fließen, sein Todesurteil, sollte er doch hier nach über 1600 Kilometern des Lebensweges im trockenen Landesinneren von Botswana einfach versickern, in unzähligen kleinen Flußarmen, die das Todesbett des mächtigen Flusses unter sich aufteilten und es für die Bewohner dieses riesigen Binnendeltas zu einem Paradies auf Erden machten. Die Angst ist plötzlich wieder da. Der Puls schnellt hoch, das Herz rutscht in die Hose. Am Horizont sehen wir Hyänen. Wahnsinn, die ersten wilden Tiere heute morgen.

Hyänen testen uns

Die Sonne hat gerade erst den Horizont geküsst, es liegt ein Hauch von Nebel über dem Delta. Botzillo bewegt sich im Busch wie auf Schienen, schaut hier, späht da, kennt scheinbar jeden Grashalm. Sein grober Plan? Schauen wir mal, was kommt. Wir werden Tiere sehen, versprochen, viele Tiere. Wir sind auf „Walking Safari“, Botzillos Einbaum hat uns noch sehr viel tiefer hinein gebracht ins Delta. Jetzt gehen wir zu Fuß weiter und sehen eben jene Hyänen. Es sind drei an der Zahl und Botzillo geht weiter auf sie zu. Seine Handzeichen sagen, kommt weiter, weiter. Dann bleibt er stehen, winkt uns zu sich. Wir sollen stehen bleiben, still. Eine der Hyänen trennt sich von den anderen, trottet in unsere Richtung, läuft, rennt. Von ihr aus gesehen stehe ich leider vorne, Botzillo hält einen Finger vor den Mund, mit der anderen Hand deutet er an, absolut still stehen zu bleiben, uns nicht zu bewegen. Ich folge seinen Anweisungen, was bleibt mir auch anderes übrig. Mein Herz rast, bloß nicht panisch werden. Die Hyäne rennt weiter auf mich zu, springt scheinbar, was ich mir wohl nur einbilde, und bremst erst im letzten Moment ab, wirbelt Staub auf und trottet dann weg. Dreht sich noch nicht einmal um. Ich zittere, Botzillo lacht freundschaftlich und klopft mir auf die Schultern. „Die wollte uns nur abchecken“, bekomme ich zu hören, „die sind satt und haben keine Lust auf Konkurrenz und wir Menschen sind denen suspekt, die verstehen uns nicht.“ Aha, wir sind denen suspekt, ich zittere immer noch, vielleicht inzwischen ein wenig mehr vor Freude, aber was denn wäre, wenn die nicht satt gewesen wäre oder anders als alle anderen Hyänen, freundliches Lächeln und Schulterzucken sind die Antwort. Und Gottvertrauen vielleicht. Bewaffnet ist unser Ranger nämlich nicht, er hat noch nicht einmal ein Messer dabei. Nun ja, er wollte den Tag vermutlich auch überleben. Vermutlich hatte er uns nach vier Tagen im Busch mit ihm zigfach das Leben gerettet, zumindest aber entspannter gemacht, aber einmal, des Nachts mußte er es auch härter angehen, denn da hatte es eine Elefantenfamilie auf unsere kleine Zeltgelegenheit abgesehen und denen begegnete Botzillo mit fliegenden Feuerscheiten und Gebrüll. Was er da gebrüllt hatte, wollte er nicht verraten, die Elefanten jedenfalls hatte es vertrieben. Botzillo jedenfalls war ein Geschenk des Himmels hier in der Wildnis und als er am Ende unserer gemeinsamen Zeit noch nicht einmal unser Trinkgeld annehmen wollte, wußten wir um so mehr, was für einen wundervollen Menschen wir hier kennengelernt hatten.

Farbspiele am afrikanischen Abendhimmel. Foto: Mario Vedder

Und nach all der perfekten Betreuung passierte mir tatsächlich am Morgen des Rückflugs aus dem Delta etwas mehr als dämliches, extrem schmerzhaftes: Ich war für einen Augenblick nicht vorsichtig und legte mich nach der kalten Dusche auf meinem Schlafsack in die Sonne. Ich hatte ihn nicht ausgeschüttelt und binnen Sekunden rammte ein Skorpion seinen Stachel in meinen Rücken, es war ein höllischer Schmerz, sofort da und extrem, pochend und hämmernd. Es war wohl ein Babyskorpion und ein weniger gefährlicherer, erklärten mit später die Locals und nur deshalb könne ich wohl ausfliegen und weiterleben. In Wirklichkeit gab es kaum tödliche Skorpionbegegnungen im südlichen Afrika. Der Schmerz blieb trotzdem noch Tage, bei Berührung sogar rund zwei Wochen. Das ganze Areal auf dem Rücken hatte sich rot, blau und später violett eingefärbt. Ich hatte Glück gehabt, oder war eine Memme, wie auch immer, ich hätte auf Corey hören sollen. Der Grad vom Paradies zur Hölle war hier sehr schmal, im Paradies des Okavangodeltas.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top