Rumänien – mit dem Motorrad durch Transsilvanien

Der Blick von der Nordseite des Transfaragas Passes ins Tal – ein Gemälde. Foto: Mario Vedder

4.204,5 km später ist das Abenteuer zu Ende. Deutlich über 4.000 Kilometer für zwei Pässe, da bleibt die Frage, ob das sinnvoll sein kann oder nicht. Die Antwort ist einfach: nein. Sinnvoll ist das bestimmt nicht, aber eine sehr sinnige und intensive Art und Weise, ein Land und seine Menschen zu entdecken. Transalpina und Transfaragas – Traumpässe in den Karparten, Sehnsuchtsorte unzähliger Bikerseelen.

Salut Romania, Buna ziua Christina

Es gibt „Krautwickel“ zum Abendessen, nach original rumänischen Rezept, traditionell in Siebenbürgen aus Sauerkraut hergestellt. Christina serviert lächelnd und schweigt. Sie ist der größte Schatz, den das rumänische Siebenbürgen an diesem einsamen Fleckchen Erde hervorgebracht hat. Ich darf ihr Gast sein, mein Motorrad parkt vor dem Kamin, im großen Hof ihrer kleinen Pension, ihrem Bauernhof im kleinen Örtchen Sibiel, inmitten der rauen Karpaten, wo sie ein paar Zimmer an Biker und Wanderer vermietet. Draussen prasseln dicke Regentropfen gegen die Fensterläden. Heute bin ich der einzige Gast, Tourismus ist ohnehin schwierig hier soweit draußen, in Zeiten von Corona gleich null.


Doch beginnen wir von vorn

Ich bin auf der Reise durch Rumänien. Ein Rundkurs durch die Karpaten, einem wilden und rauem Gebirge im zentralen Rumänien, in der Region Transsilvanien oder zu deutsch Siebenbürgen. Eine Tour ins Ungewisse, eine Fahrt in Zeiten von Corona.
Start in Frankfurt, obligatorisches Abschiedsfoto vor der Skyline. Ein Flieger kreuzt die Autobahn A3. Fliegen kann doch jeder, denke ich, doch Moment, schwierig zur Zeit. Corona. Das Motorrad ist ein Privileg, Freiheit, und die ist derzeit wichtiger als alles andere. Fahrt nach Wien, langweiliger Knochenjob, gute 700 Kilometer im Sattel, zur Belohnung ein Original Wiener Schnitzel.
Nächste Etappe, 500 Kilometer Autobahn in Ungarn. Es gibt nichts langweiligeres. Plattes, heisses Land, flimmernder Asphalt. Lkw Kolonnen, gut ausgebaute Autobahnen, keine Kurven, keine Berge, Hitze, von 30 bis 40 Grad, Stau in Budapest, Hitzestau, Hölle.

Auf dem Weg in die Karpaten


Stau auch vor der rumänischen Grenze, ein Trucker zeigt mir eine nicht ganz legale Ausweichspur, ein kroatischer Biker hilft weiter, Grenzer winkt durch, hat wohl Mitleid. Endlich in Rumänien. Timisoara – eine tolle Stadt, im Stadtzentrum wunderbare barocke Bauten, schöne Plätze, adrette Anlagen, „Klein Wien“, allein rein baulich schon zurecht zur europäischen Kulturhauptstadt 2021 gewählt, dank der Pandemie und all ihrer zu erwartenden Einschränkungen wurde verstaltungsreiche Jahr allerdings auf 2023 verschoben. Apropos Pandemie, was ist eigentlich mit Corona? Maskenpflicht? Ja, aber… Hier beim Einkaufen ja, im Taxi und in der Hotellobby ja, in Österreich nicht mehr, in Ungarn beim Tanken auch nicht mehr.

116 PS mitten in Transsilvanien. Foto: Mario Vedder


Tag zwei in Rumänien. Es wird abenteuerlicher, Schlaglöcher umfahren ist mein neuer Sport, die frisch geflickten Krater sind auch nicht besser, haben oft fünf und mehr Zentimeter Kante, dennoch ist das Fahren extrem entspannt. Aber man sollte immer mit allem rechnen, auch mit überholenden Verkehrsteilnehmern. Denn das tun sie gerne und überall, die Rumänen, überholen. Auch in Ortschaften, auch Trucker, die ein paar PS mehr als der Vordermann unter der Haube haben. Überholt wird immer, mitmachen oder überholen lassen, jeder wie er kann und will. Die Rumänen sind gute Fahrer, nicht zu aggressiv, aber Geschwindigkeitsregeln gelten eher als Vorschlag, vor Polizeikontrollen warnt verläßlich die Lichthupe.


Freundlichkeit überall

Kinder, alte Männer winken, Bauarbeiter grüßen, Trucker hupen. Genussfahren, Wohlfühlen. Traumhaftes Kurvenwedeln im Banat, ab Resita nehmen die Rundungen in atemberaubend kurzen Abständen zu. Die Strecke geizt nicht mit Kurven. Wahnsinn, auch wenn Strassenarbeiten in Pause immer wieder bremsen und zur Vorsicht mahnen. Dann Brückensperrung kurz vor Slatina Timis, keine Umleitung, 50 Kilometer Kurven im dritten Gang und Serpentinen zurück? Frage die Männer im Dorf, kurzes Palaver, sie haben nicht verstanden, wo ich hin will, mein Fehler, ich spreche „Orsova“ falsch aus, aber wir finden die Lösung, sie suchen den besten Weg für mich. Ein Rollerfahrer zeigt mir die Richtung, fährt extra für mich voraus, bis ins nächste Dorf. Von dort führt ein kleiner Weg über den Fluss. Wahnsinn, die Rumänen sind einfach unglaublich hilfsbereit und freundlich, auch übrigens am Ende einer unglaublich steilen Strasse ohne Ende, am Rande von Orsova, wo ich nicht mehr wenden kann und fast das Motorrad umschmeisse. Ich hätte schwören können, das es links weiter geht. Geht es aber nicht, Steilwand, Vollbremsung. Nachdem ich mit viel Schweiß und Adrenalin irgendwie die Tracer rumbekomme und am Ende alles gut ist, winkt mir ein uralter Opa und zeigt den richtigen Weg. Die Biker hier fahren alle Richtung Eselnita.


Tagesende direkt an der Donau, gegrillter frischer Fisch, kühles Bier – ein perfekter Abschluß.

Wenig Verkehr und einsame Strassen mit oft dichtem Waldbewuchs. Foto: Mario Vedder

Der Weg hierher: Kurven en masse, wenig Verkehr, Strasse, na ja, immer auf der Hut sein, selbst auf guten Abschnitten kommen Löcher, Sand oder sonstwas… die Städte zwischendurch machen Lust auf Anhalten, schöne prächtige Kirchen, Strassen, die leben, Menschen, die flanieren, auch mal sozialistische Bauten, aber überwiegend schön. Auch die Dörfer, viele einsam, auch zerfallene Bauten, aber oft dazwischen schöne kleine Häuser, mit Blumen, oft traditionellen Holzkacheln an den Wänden. Traurig, die kleinen Slums am Rand der Bebauung, Roma, die in Hütten und Verschlägen hausen, provisorische Zelte aufgebaut haben, mit Regenwasser ihre Töpfe spülen müssen. Bittere Armut. Die Bauernernte ist sehr traditionell, uralte Traktoren, Heu wird spitz aufgehäuft. Am Wegesrand stehen oft Ministände mit Öl aus der Region, mit Pilzen oder Honig.

Sie sind bunt und kreativ – immer wieder begegnet man in Rumänien Wegkreuzen. Foto: Mario Vedder

Immer wieder zieren große und kleine Kreuze den Wegesrand, dieses so tiefgläubige Land zeigt seinen Gottesglauben allenthalben, besonders auffällig die wunderschönen orthodoxen Gotteshäuser, die großen Kreuze um Timişoara, mit Jesus, mit Totenköpfen. Morgen geht es nach Targu Jiu, Gewitter ist angekündigt, aber heute klingt der Tag mit einer rumänischen Party aus. Die Leute singen, tanzen, freuen sich des Lebens, traditionelle Musik, alle dabei, jung und alt, nebenbei schnattern irgendwelche Flussvögel. An der Rezeption spricht die junge Frau deutsch, lernt es gerade, fragt mich nach der Richtigkeit der Aussprache. Sie spricht sehr gut, ich lobe sie, empfange ein freudenstrahlendes Lächeln. Dabei müsste es doch anders herum sein, ich bin hier der Gast im Land, ich müsste die Sprache lernen, und komme doch über ein Danke „Mersi“ kaum hinweg, mir ist das peinlich, aber ich arbeite dran. Ab und zu springt ein Fisch aus dem Wasser. Übrigens: laut Temperaturmessung im Hotel habe ich nur 33 Grad, Motorradfahren bei knapp 40 Grad kühlt scheinbar den Körper. Heute in Targu Jiu waren es dann wieder 36 Grad, überlebt. Hier gilt auch wieder strengere Maskenpflicht, im Restaurant trägt die Bedienung Handschuhe und Maske, Tische werden desinfiziert.

Ein erster herrlicher Ausblick auf der Transalpina. Foto: Mario Vedder

Die Strecke hierher zunächst ein Traum, immer entlang der Donau, der Rest dann eher mau, quasi Zubringereffekt zur Transalpina, meinem Sehnsuchtsziel Nummer eins. Aber ein tolles Kloster liegt an der Strecke, hinter dem Wald in Tismana, mindestens ein Kloster muss es sein in Rumänien. Und auch die ein oder andere Kirche sollte man gesehen haben. Spaziergang in Targu Jiu, der Bildhauer Constantin Brancusi ist hier allgegenwärtig, auf dem Weg zu seinem berühmtesten Werk „Tisch der Stille“ treffe ich auf eine orthodoxe Glaubensfeier im Freien, später besuche ich eine Messe, ein Mann lädt mich ein, ich solle eintreten, es ist toll, sehr erhaben und feierlich. Und mal so nebenbei: unter Einhaltung von Minimalregeln habe ich mich selten so sicher gefühlt, wie in diesem Land, vielleicht noch in Malawi direkt nach den ersten freien Wahlen nach über 40 Jahren Diktatur, aber das ist auch schon mehr als 25 Jahre her.

Noch hält das Wetter, kurz nach dem ersten Gipfelkreuz auf der Transalpina erwischt es mich dann. Foto: Mario Vedder


Heute arge Selbstzweifel am Dasein und Tun, der Sinn in allem fehlt bzw. lässt zweifeln. Was tue ich hier eigentlich und was wären die Alternativen? Was will ich, was will ich noch oder wieder? Hier auf diesem Weg muss ich einen neuen Weg finden. Den Weg zurück zum Glück, zur Harmonie, zum Leben im Einklang. Auf der ganzen Welt leben wir. Die Menschen hocken zusammen, essen, trinken, feiern, palavern, arbeiten, alle irgendwie anders, aber alle leben ihr Leben, ihre Kultur, ihre Tradition. Können wir nicht in Frieden leben? Die Erde ist so toll. Teilhabe sollte unsere höchste Tugend sein. Und Nachsicht, Geduld und der Wille, Neues zu entdecken, zu erleben. Jeder kann, sollte vom anderen lernen. Deshalb bin ich auch hier, wegen des Abenteuers, aber vor allem, um das Land und seine Menschen kennenzulernen. Das geht mit dem Motorrad ganz prima, man kommt schnell ins Gespräch. Ich wiederhole mich, aber Freundlichkeit überall. Es ist mir ein bisschen ein Rätsel, wie das Land den Spagat zwischen bitterer Armut und auskömmlichen Lebensstandard hinbekommt.

Immer noch ein sehr gängiges Verkehrsmittel in den Karpaten – der Pferdekarren. Foto: Mario Vedder

Auf dem Land Esels- und Pferdekarren überall, alte Menschen in alten Klamotten, die mit Gehhilfen ein paar Ölflaschen und Honig zum Verkauf an den Straßenrand bringen. Bettelnde Roma, Kinder, die mit traurigem Blick um eine Gabe bitten. Gegensatz: viele der Autos sind neueren Jahrgangs, oft teure deutsche Fabrikate. Auch verfallene Häuser sind eher selten, man spürt den Willen, aus wenig viel zu machen. Immer wieder irritierend verstörend: unglaublich prunkvoll verzierte Villen, mit glänzenden Zinnen, goldenen Zäunen und kunstvollen Verzierungen – reichen Familien sollen sie gehören, diese Bauten, das Geld solle im Ausland verdient worden sein. Nun ja, niemand mag da konkreter werden.
Obwohl ich mich inzwischen ganz gut eingefahren habe in die Strassenverhältnisse und Fahrweisen der Einheimischen, habe ich nach wie vor großen Respekt davor, morgen in die Berge zu reisen.


Unkonzentriertheit, Zweifel an mir, meinen Fähigkeiten und der Sinnhaftigkeit des ganzen, vor allem aber das Wetter machen mir große Sorgen. Unwetterwarnung für die Transalpina, massive Gewitter, Starkregen und Sturm drohen. Aber ich werde mich auch jetzt wieder daran halten, was wir mal unter Bikern auf einer Fähre nach Barcelona abgemacht hatten: „mach es einfach, du musst es einfach machen, lebe dein Abenteuer jetzt“.

Gnädiger Asphalt zum Auftakt – die DN 67 C gefällt von Beginn an. Foto: Mario Vedder


Genau das habe ich heute getan: Regenschlacht Transalpina! Dabei fing alles noch ganz gemütlich an. Ab Start Targu Jiu wunderbares Wetter, gnädiger Asphalt, die Transalpina, oder offiziell „DN 67 C“ gefällt von Beginn an. Treffe am ersten Halt mit fantastischem Talblick rumänischen Biker, plaudern, letztes Jahr seien hier tausende Biker gewesen, er habe heute mit mir grad mal sieben gezählt, ein paar mehr treffe ich doch noch, aber viele sind es nicht. Wir vermuten beide Corona als Ursache, er durfte sogar kürzlich nicht in Bulgarien einreisen, trotz EU. Ihm fehlte ein offizieller Grund, dabei wollte er doch nur Motorradfahren. Komische Zeit. Seine Warnung vor dem Abwärtspass nach dem Gipfel, Urdele, wird mich später noch länger begleiten.

Regenschlacht Transalpina

Strassenbauarbeiten in Pause, hohe Kanten, Schotter – wie recht er hat. Dazu kommen noch Gesteinsbrocken, Sturzfluten, Geröll und Dreck. Liegt vor allem auch am Unwetter, was mächtig durchmischt und Sand und Geröll auf die Strasse spült. Kurz hinter dem Dorf Ranca erwischt es mich, der Regen setzt ein, wird mehr und mehr. Ich fahre weiter und kann nicht mehr zurück, den höchsten Gipfel passiere ich im Regensturm. 2.145 Meter. Sicht gleich null, extrem steil, zum Teil sehr enge Serpentinen, mein Regencap ist natürlich im Koffer, Vertrauen in die Funktionskleidung erweist sich als Fehleinschätzung, ich bin klitschnass, es wird kälter und kälter, keine Chance auf Anhalten, noch gefährlicher als weitermachen. Das geht gefühlte Ewigkeiten so weiter, bis ich endlich drüber bin und der Regen nachlässt. Dafür wird die Strasse schlechter. Endlich ein kleines Händlerdorf, sehr rustikaler Parkplatz mit Gesteinsbrocken und Schlamm, Seitenständer versinkt darin, kann in letzter Sekunde das Bike halten. Eine gute Gelegenheit zur Mittagspause, Klamotten wechseln, vom Klitschnassen ins Feuchte. Und weiter geht es.

Nur im Sommer offen

Wegen des unberechenbaren Wetters ist die Transalpina nur im Sommer ab dem 1. Juli bis zum 30. September geöffnet, die Strecke ist ein Traum, fantastische Panoramen, wenn es das Wetter zulässt, die Strasse mal super, mal beschissen. Zwischendurch immer wieder Roma Siedlungen im Wald, Zelte, sehr einfach, Kinder die Holz holen, Frauen die Kräuter sammeln, oft wird der Wegesrand abgesucht oder im Fluss Wasser geholt. Es wird wieder waldiger, der große Stausee beeindruckt, obwohl inzwischen wieder mehr Wasser von oben kommt, als in diesem See hinein passen kann. Wasser fließt in Sturzbächen über die Strasse. Die „DN 67 C“ führt nach Sugag, ich biege vorher in die kleine Strasse „106 E“ ab, Richtung Saliste. Hier klappt es in einer der kurzen Pausen auch mal meinem Kutschenbild. Der Klassiker in den Karpaten und Sinnbild für das Nebeneinander von Vergangenheit und Moderne. Wirklich toll und einsam ist die kleine Strasse nach Sibiel, weite Landschaft, Pferde, Kühe, nur am Anfang der Wegstrecke fehlt einfach die halbe Strasse und die andere Hälfte ist mit Schotter übersät. Man wächst mit den Aufgaben. Bei einem kleinen Fotostop höre ich es Grummeln, jetzt noch ein Gewitter zum Abschluss, na wunderbar, schnell weiter zur Pensiune Christina, einem kleinen Hof inmitten des kleinen Ortes Sibiel. Wunderbare Menschen, schöne rustikale Unterkunft, parken im Hof vor dem Kamin, Sohn ist selber Biker, Mutter Christina kümmert sich, kocht, lächelt.

Perfekter Unterstand für die Nacht – in der Pension Christina wird für Mensch und Bike gesorgt. Foto: Mario Vedder

Der Haushund Axi ist ein Koloss und sanftmütig wie die Menschen hier. Er bleibt mein Freund beim Abendessen, liegt schnarchend neben mir. Essen sehr, sehr lecker, hausgemacht. Vorspeise Käse und grobe Wurst, dazu famoses Aubergine Mousse, den obligatorischen Schnaps Palinka (Noroc) natürlich und danach Gemüsesuppe mit Hühnchen, Hauptspeise Krautwickel, perfekter Abschluss des Tages, dazu schnarcht Axi.

Krautwickel und Palinka

Christina ist einfach herzlich, lächelnd bereitet sie das Frühstück zu, allein ihre Anwesenheit gibt einem das Gefühl willkommen zu sein. Axi schläft noch. Das Frühstück ähnlich einfach wie am Abend, aber reichhaltig, dieser Käse ist eine Wucht. Ich will nach dem Frühstück noch schnell den Scotoiler auffüllen und merke, irgendetwas stimmt nicht, eine Fee hat über Nacht mein Mopped blitzblank geputzt. Es war der Hausherr, wie er später zwinkernd zugibt, er hätte eh da rumgeputzt, zeigt er mir mit Händen und Füßen, ich bedanke mich mehrfach „Multumesc“, spreche es scheinbar richtig aus, der Hausherr freut sich, ich packe, belade das Mopped, will los, doch dann geht das Spiel grad wieder los, Regen, schnell mehr werdend, ich warte und warte und warte, die Hausherrin ist schon im Gottesdienst, Sonntag, 10 Uhr, Pflicht in Rumänien. Der Hausherr bleibt, wegen mir. Irgendwann wird es weniger mit dem Wasser von oben, ich will jetzt los und bedanke mich nochmals. „Multumesc“. Er lehnt Trinkgeld strikt ab, ist fast beleidigt, so bleibt beim mehrfachen Danke, ich fahre durchs grosse Tor, Axi ist auch da zum Abschied.

Neugierige Pferde begrüßen den neugierigen Fotografen. Foto: Mario Vedder


Auf geht’s Richtung Bran, Dracula wartet auf seinem Schloß und schickt erstmal neuen Regen, was sage ich, eine Sintflut. Ich finde einen Torbogen zum Unterstellen und warte, am Horizont schieben sich hellere Wolken ins Regengrau. Als es dann endlich vorbei ist, bleibt es dabei, kein Regen mehr für heute. Dracula Gulasch im Sonnenschein, die Burg ist ein mächtiger Anblick, der Rest Drumherum sehr touristisch.

Transfagarasan

Jetzt wartet die Transfagarasan auf mich, der zweite Biker-Sehnsuchtsort hier in den Karpaten. Riesenvorfreude und Angst vor der nächsten Umwetterattacke. Dabei heißt es doch immer, wer reist ist weniger ängstlich. Zunächst ist das auch unbegründet, kurz vor Curtea de Arges schüttet es dann doch plötzlich, niemals der Wetter-App trauen, obwohl, später passt die Gewittervorhersage ziemlich punktuell, nichts gegen Regen, aber das Gewitter warte ich lieber unter einer Brücke ab.

Definitiv eine der schönsten Hochgebirgsstrecken der Welt: die Transfogarascher Hochstrasse. Foto: Mario Vedder

Die Transfogarascher Hochstrasse ist ein Traum, manche sagen eine der schönsten Gebirgsstrassen der Welt, dem schliesse ich mich an, zu Recht, auch später mit Regen, ohne Blitze, Serpentinen-Wahnsinn und tolle Ausblicke, könnte ständig so weitergehen. Die Transfagarasan ist Teil der DN 7C, die auf über 150 Kilometern das Fagaras-Gebirge überquert. Die nach der Transalpina zweithöchste Nationalstrasse sollte ein Muss in jedem Bikerleben sein, ich könnte ständig anhalten und fotografieren, ohne Zweifel eine Traumstrasse.

150 Kilometern durch das Fagaras-Gebirge – ein absolutes Muss in jedem Bikerleben. Foto: Mario Vedder

Der Blick von der Nordseite ins Tal – ein Gemälde. Famos, absolutes Biker Highlight. Die Strasse ist rustikal bis deftig, aber berechenbar und mit Strassenmaschinen gut befahrbar, auch der schwarze Tunnel kurz vor dem kleinen Balea-See am Gipfel, beklemmende Dunkelheit, spektakulärer Ausblick kurzer Zeit später – sinnliche Wiedergutmachung. Wahnsinn, dafür bin ich hier. Ständige Warnhinweise meines Handys deute ich erst als Hinweis auf den bösen Unfall, an dem ich vormittags vorbei gekommen bin, ein Einheimischer klärt mich auf, Warnung vor Bären sei das, aber ich müsse keine Angst haben, die winken nur. Schade, hätte gerne zurückgewunken.
Den Abend verbringe in Sibiu, zu deutsch Hermannstadt – eine wunderschöne Stadt. Tolle, enstpannte Atmosphäre am zentralen Platz „Piata Mare“. Städtisches Wohlfühlen, Familien, Touristen, Restaurants und schöne alte Architektur, bestens erhalten, saniert, zum Teil aus dem 15. Jahrhundert, ein Erbe der sächsischen Siedler in Siebenbürgen.

Sibiu, zu deutsch Hermannstadt – eine wunderschöne Stadt. Tolle, enstpannte Atmosphäre am zentralen Platz „Piata Mare“. Foto: Mario Vedder


Abschied von der Schönheit, zurück Richtung Basecamp Timişoara, natürlich mit Regen. Und kalt war es, viel mehr gibt es nicht zu berichten, Strecke ok, eher langweilig, morgen geht es in die Stadt. Timişoara ist im Zentrum wahnsinnig schön, zurecht oft als das „kleine Wien“ angepriesen, viele alte Bauten, die meisten restauriert, Pastellfarben, braun, rosa, tolle Plätze. Hier ging 1989 die Revolution los, der Abschied von Diktatur und Kommunismus. Hier will man sich im Jahr 2023 als Kulturhauptstadt Europas präsentieren.

Timisoara auch „Klein Wien“ genannt, putzt sich heraus. Foto: Mario Vedder


Entspanntes Flanieren in der Stadt und Zeit, die Tour Revue passieren zu lassen. Eine Tour, die mit gemischten Gefühlen begann, von Corona begleitet war und in ein vollkommen unbekanntes Terrain führte. Der Umgang mit Corona ist sehr unterschiedlich, auf dem Land kümmert man sich gar nicht, in den Städten hält man sich an die Maskenpflicht, auch im Taxi – dezenter Hinweis des Fahrers in Timisoara, ich solle sie umhängen, die Maske, nur lose, wegen der Polizei halt, zum Abschied gibt es dann einen Handschlag vom Taxifahrer, er besteht drauf, freut sich, dass er mich fahren durfte. Und genau das ist es, die Freundlichkeit der Menschen, die Hilfsbereitschaft, Gastfreundlichkeit, die Bescheidenheit und der Wille, ein gutes Leben zu leben, was dieses Land ausmacht. Der Norden Rumäniens, die Karpaten, Siebenbürgen, es wirkt alles irgendwie zerrissen, fragil, wie der Spagat gelingen kann, zwischen Pferdekutschen und dicken Autos, zwischen bitterer Armut und „laisse faire“, bleibt mir noch schleierhaft. Aber das Land lädt ein, um zu bleiben, um wiederzukommen. Vielleicht sollte ich das tun, die beiden Pässe, bei allem Respekt vor dem Abenteuer, wären auch bei Sonnenschein mal einen Abstecher wert. Vielleicht zieht es mich aber auch auf einer Enduro zu den Bären. Eine große Bereicherung, eine Tour nahe der physikalischen Grenzen, ein großer Abenteuerurlaub in einem großartigen Land. Mehr davon.

Nachtrag: Ängste überwinden ist wichtig, ohne diesen Mut kommen wir nicht weiter. Wer zum Gipfel geht, muss auch wieder runter, wichtiger ist es aber, überhaupt mal loszugehen und nicht einen einfachen Grund für den Abbruch der Wanderung zu finden. Ich liebe das Leben, Reisen und die Menschen, Grenzen sind Schlagbäume, die uns einschränken, aber überwunden werden wollen, ja sogar müssen, um die Menschen, das Leben zu erleben. Wir sind die Welt. Und mit Respekt für das andere, die Tradition und das menschliche Leben jenseits unseres kleinen Horizonts sollten wir die Welt erleben, das Leben lieben, vor allem aber bewahren. Resümee Rumänien: auf jeden Fall hin, unglaublich schöne Landschaften, unglaublich nette und hilfsbereite Menschen, ausserdem nicht hektisch, laut oder aggressiv, alles entspannt, bescheidene Strassenverhältnisse erhöhen den Abenteurerfaktor, heisst aber auch, immer Obacht, da sind die Bahnübergänge noch harmlos, die sieht man vorher. Grobe Planung, Sinn für Improvisation und Mut zur Lücke und alles geht auch prima mit einer Strassenmaschine. Reisen darf nicht bequem sein.

Mit Regen oder auch mal unwetterartigen Schauern ist jederzeit zu rechnen. Foto: Mario Vedder

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